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Noch 5 Tage: Der Cinderella-Mann

Von einem, der in seiner Karriere häufig übersehen wurde und trotzdem Unglaubliches geleistet hat.

Tyler Harvey hat es geschafft: Er hat ein NBA-Team von seinen Qualitäten überzeugt. 2015 wählten die Memphis Grizzlies den Mann aus, der im selben Jahr der beste Scorer der College-Liga NCAA war. Nach zwei Jahren in Europa stellte der Linkshänder seine Extraklasse erneut unter Beweis: Mit 58 Punkten in einem Spiel erzielte er den dritthöchsten Wert, der jemals in der G-League aufgestellt wurde.

Dass Tyler Harvey überhaupt auf einem „D1“ College landete, war purer Zufall. Das amerikanische College-System funktioniert ähnlich wie die Bundesliga: Es gibt eine erste, zweite und dritte Liga. Die Guten spielen in der „Division 1“, die richtig Guten erhalten dafür ein Stipendium. Als Harvey 2011 die Bishop Montgomery High School abschloss, kannte kein Mensch den Namen des schlaksigen Kaliforniers. Erst in seinem dritten High School Jahr hatte er es in die Schulmannschaft geschafft und auf dem AAU-Radar war er auch nie aufgetaucht. AAU steht für „Amateur Athletic Union“ und bietet jungen Athleten eine Plattform, sich im ganzen Land zu zeigen. Scouts, College-Trainer – alle Basketball-Experten sehen sich AAU-Spiele an.
Harvey war als Teenager ein Nobody, einer, der an der High School um über 20 Zentimeter in die Höhe geschossen war und offensichtlich Schwierigkeiten hatte, seinen 1,94 Meter langen Körper zu koordinieren.

Tyler Harvey hält immer den Blick offen für gute Optionen Foto: Marcel Merli
Zurück zum Zufall. Tylers Vater Frank war College-Schiedsrichter und ein Freund von Jim Hayford, der an der  Eastern Washington University Head Coach war. So landete Tyler auf einem „D1“ College, allerdings nur als „Walk on“. So nennt man die Spieler, die keinen festen Platz in der Mannschaft haben und die für ihre Collegeausbildung selbst bezahlen müssen. In seinem ersten Jahr an der Eastern Washington University durfte Harvey lediglich mit den „Eagles“ trainieren. Seine Aufgabe: Die Stars im Training zu verteidigen. „In der Offensive habe ich den Ball nie berührt“, erinnert sich Harvey. Erst wenn das Teamtraining vorbei war, durfte Harvey werfen – an der „Gun“. Die Ball-Maschine schaltete der Linkshänder erst dann aus, wenn er 500 Treffer auf dem Display gesammelt hatte.

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Auch in seinem zweiten College-Jahr kam Harvey nur etwas mehr als 14 Minuten pro Spiel zum Einsatz. Als die Saison schon fast gelaufen war und nur noch zehn Spiele auf dem Plan standen, schlug seine große Stunde. Im Duell mit Northern Arizona schickte Coach Hayford Tyler Harvey bei noch acht verbleibenden Spielminuten und einem 18-Punkte-Rückstand aufs Parkett. Mit einem Layup und zwei Dreiern rettete der Freshman die „Eagles“ in die Verlängerung, wo er mit zwei weiteren Distanzwürfen den Sieg sicherte. „Dieses Spiel hat mir gezeigt, dass ich auf diesem Niveau mithalten kann“, so Harveys Erinnerungen an den 2. Februar 2013.
Tyler Harvey zeigt seine Scorerfähigkeiten im Testspiel gegen KK Igokea Foto: Peter Podobnik / Sportida
Von nun an nimmt Tyler Harveys Karriere an Fahrt auf. In seinem dritten College-Jahr erhält er nicht nur ein Stipendium, er steht auch regelmäßig in der Starting Five und erzielt im Schnitt knapp 22 Punkte. Als „Junior“ läuft es sogar noch besser: 23 Punkte und eine durchschnittliche Dreierquote von 43 Prozent stehen 2014/15 für ihn zu Buche. „Mein Coach hat mir nach einem Training gesagt, dass ich der beste Scorer im ganzen Land war – ich wusste das gar nicht. Mir ging es nur darum, die March Madness zu erreichen.“ Und auch das klappt. Nachdem für die Eagles der College-Wahnsinn bereits in der ersten Runde beendet ist, sind es zwei individuelle Rekorde, die Harvey zu einem NBA-Kandidaten machen: Die Topscorer-Krone und die Tatsache, dass er mit vier verwandelten Dreiern pro Partie der beste Distanzschütze seines Jahrgangs ist. 

Nach unzähligen NBA-Workouts sind es schließlich die Memphis Grizzlies, die Harvey als 51sten von 60 Spielern in der NBA-Draft auswählen. Was sich nach dem Gewinn des Jackpots anhört, kann Harvey auf seiner privaten Draft-Party nicht wirklich genießen. „Ich war so sehr damit beschäftigt, die nächsten Schritte zu planen, dass ich den Moment gar nicht richtig ausgekostet habe.“ Aus dem ersehnten NBA-Traum wird zunächst auch nichts. Die Grizzlies schicken Harvey in die G-League, die Ausbildungsliga der NBA, wo er 2015/16 auf solide 11,9 Punkte pro Spiel kommt.
Tyler Harvey (2.v.l.) hat auf der Tipoff-Gala mit seinen neuen Teamkameraden viel Spaß Foto: Harry Langer
Dann der Wechsel nach Europa. Das erste Jahr „overseas“ war ein „psychischer Test für mich“, sagt der Mann mit der Nummer 1 heute. Statistisch ist sein Jahr in Italien nicht schlecht, „aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe“. In der Rückschau sagt Harvey: „Ich habe zu viel gegrübelt.“ Zurück in Amerika bringt seine Mutter ihn mit einem Sportpsychologen zusammen. Nachdem Harvey den Vorschlag anfänglich für absurd hält – „Ich bin doch nicht krank“ – geht er darauf ein und findet so einen Zugang zur Meditation. Mittlerweile meditiert er jeden Abend und vor jedem Spiel. Er sagt: „Ich bin nicht der größte oder athletischste Typ, deshalb ist meine mentale Stärke sehr wichtig.“ Nach einem weiteren Jahr in Europa kehrt Harvey in der Saison 2018/19 schließlich in die G-League zurück.
Zu Saisonbeginn läuft es nicht „und ich hatte meine Entscheidung schon fast bereut“. Dann erinnert sich Harvey an die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus zwei Jahren in Europa: „Es fiel mir nicht leicht, das zu lernen, aber ich spiele am besten, wenn ich das Spiel auf mich zukommen lasse.“ Und in den folgenden Wochen sollte einiges auf Tyler Harvey zukommen! Es beginnt mit seinen Dreiern: Erst sechs von elf, dann acht von zehn, schließlich zehn von 15.

„Auf der Anzeigetafel steht: 58 Punkte. Oh mein Gott!“

Bevor Harvey am 4. Februar 2019 58 Punkte in einem Spiel erzielt, hat er schon so ein Gefühl. „Ich bin in die Halle gegangen und habe zu einem Kollegen gesagt: ‚Mann, die Ringe sehen aber gut aus.‘“ Was dann passiert, ist so surreal, dass selbst der Hauptdarsteller Schwierigkeiten hat, es zu beschreiben. „Ich hatte diesen Flow, das Erlebnis, wenn sich alles richtig anfühlt. Dann schaue ich zur Anzeigetafel hoch und da steht: 58 Punkte. Oh mein Gott!“

In diesem Moment ist Tyler Harvey einem NBA-Vertrag sehr nahe. 20 Tage später nicht mehr. Er bricht sich den Mittelfuß und verpasst den Rest der Saison. Doch auch von diesem Rückschlag lässt sich der Guard nicht unterkriegen. Schon wenige Tage später taucht er mit einem überdimensional großen Schutzschuh in der Halle auf und arbeitet an seinem Comeback. Ein halbes Jahr später liefert er den Beweis seiner vollständigen Genesung: In der NBA Summer League gewinnt er den Titel, steht dabei fast 25 Minuten pro Partie auf dem Parkett und versenkt seinen Distanzwurf mit einer 42-prozentigen Trefferquote.
Tyler Harveys Karriere begann durch einen Zufall und verlief dann in extremen Amplituden. Die Geschichte des 26-Jährigen taugt nicht nur zur Inspiration aller Nobodies, sie hat auch ihren Protagonisten nachhaltig geprägt. „Für mich geht es nur noch darum, im Moment zu leben und nicht zu sehr an morgen und das Vergangene zu denken.“

Wenn Sie dabei sein wollen, wenn Tyler Harvey mit dem neuen Team von ratiopharm ulm in nur 5 Tagen die Saison mit dem Heimspiel gegen RASTA Vechta (Di., 24 September) eröffnet, sichern Sie sich rasch Ihre Tickets. Steh- und Sitzplätze gibt es noch in den meisten Kategorien – allerdings nur noch in begrenzter Stückzahl. Tickets unter: ratiopharmulm.com.
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