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The Grind

Patrick Miller ist ein Kämpfer, einer, der in seiner Karriere noch nie etwas geschenkt bekommen hat.

Seine Erscheinung ist imposant: Bei einer Körpergröße von 185 Zentimetern bringt Patrick Miller 95 Kilo auf die Waage. Problemzonen sucht man an dem austrainierten Körper des 26-jährigen Modellathleten vergeblich. Miller ist ein Kraftpaket. Einer, der sich immer und immer wieder beweisen musste. Die bisherige Karriere des Point Guards deutet darauf hin, dass ihm dies auch bei seiner bisher größten Herausforderung gelingen wird.

So einen Point Guard wie Patrick Miller gab es in Ulm noch nie. Keiner konnte so hoch springen, keiner hatte so ein breites Kreuz und keiner verband Kraft und Dynamik in dem Maße wie Miller. Und keiner hat es in zehn Jahren geschafft, Per Günther seinen Platz als Starter streitig zu machen. Edgar Sosa gelang das nicht, Cameron Long nicht und auch Jaka Klobucar musste sich hinten anstellen. Bei Miller war das von Anfang an anders. In seinem fünften Profijahr soll der 26-Jährige von Beginn an Verantwortung übernehmen, ratiopharm ulm als Point Guard führen. Und die Gründe, den Staffelstab gerade in Millers Hände zu geben, sind einleuchtend. Den ersten Profivertrag mit 22 Jahren bei Besiktas Istanbul unterschrieben, dann die Hand verletzt, in die zweite türkische Liga geschickt worden, dort aufgestiegen, zwei Jahre in der G-League geackert, dann zurück in Europa bei Partizan Belgrad und anschließend wieder in der Türkei tolle Zahlen aufgelegt. Der Kurzabriss von vier Profi jahren liest sich vielversprechend. Vor allem dann, wenn man etwas genauer hinschaut und zuhört, wie Patrick Miller seine Karriere nachzeichnet. 

Alles beginnt mit einer Lüge

Geht da hin, wo es weh tut: Pat Miller liebt den Infight. Foto: Florian Achberger
Seit er Ronny Hampton eines Nachmittags anlog, geht es in Patricks Leben immer um Basketball. Aufgewachsen in Chicago als jüngstes von vier Kindern einer alleinerziehenden Mutter ist Geld bei den Millers immer ein Thema. Schon deshalb, weil nie genug da ist. Als Patrick in seinem ersten College-Jahr an der Tennessee State University eine staatliche Unterstützung für einkommensschwache Familie erhält – in seiner Erinnerung sind es monatlich 2.000 Dollar – „dachte ich, ich habe den Jackpot geknackt“. Worüber ein Freshman in Ekstase gerät, ist erst der Anfang und maßgeblich mit Ronny Hampton verknüpft. Hampton ist ein wichtiger Mann in „Windy City“, eine Art Schleusenwärter, der darüber entscheidet, welches Kind in der Basketball-Suppe mitschwimmt und welches nicht. Als Trainer der „Small Fries“ kümmert er sich um eine Jugendmannschaft für Kinder zwischen acht und 12 Jahren und bis zu einer maximalen Körpergröße von 1,51 Meter. 

Der Einstieg in den US-Sport läuft anders als in Europa. Da es keine Vereinsstruktur gibt, beginnt der organisierte Sport für Jugendliche in der Schule – oder in lokalen Auswahlmannschaften wie es die „Small Fries“ eine sind. Als Coach Hampton sich in Millers Nachbarschaft nach ihm erkundigt, kennt den Achtjährigen dort keiner. „There is no Patrick“, sagen die Jungs. Auch Miller selbst verleugnet sich. „Das haben wir immer so gemacht. Wir hatten ja keine Ahnung, was die Typen von uns wollten.“
Ein Pass, wie ein Strich: Miller führt sein Team als Assist-Geber an. Foto: Alexander Fischer
Aus heutiger Sicht ist Ronny Hampton der wichtigste Mann in Millers Karriere. „Er hat mich das erste Mal in ein Team gebracht. Von da an ging es einfach immer weiter.“ In die AAU-Mannschaft, wo er Dwayne Evans kennenlernt, dann an die High School und später ans College. Einmal auf den Basketball-Zug aufgesprungen, lässt Miller sich nicht mehr aufhalten. „Dabei hat Pat sich nicht wirklich verändert“, sagt Evans und fügt nach einer kurzen Pause grinsend hinzu. „Okay, vielleicht abgesehen von den 50 Pfund Muskelmasse, die er jetzt mehr drauf hat.“ 

Jeder ist beeindruckt von Millers Muskulatur. Mir geht es bei unserem ersten Treffen auch nicht anders. Sein Bizeps hat schließlich den Umfang meines Oberschenkels. Noch beeindruckender ist allerdings seine Antwort auf die Frage, ob er nicht vor dem nächsten Fototermin bei einer Fastfood-Kette stoppen wolle. „No, I don‘t do that.“ Viele andere hätten einen Burger zumindest in Erwägung gezogen, Miller lehnt kategorisch ab. „Weil ich einfach weiß, wie wichtig die Ernährung für mich ist. Alle denken, ich würde die ganze Zeit nur im Kraftraum sein. Stimmt aber nicht. Ich bin einfach so – und ich achte auf meine Ernährung.“

„No, I don‘t do that.“

Two of a kind: Point Guards unter sich. Foto: Alexander Fischer
Als Miller in Tennessee an der Uni ankommt, bringt er etwas mehr als 80 Kilo auf die Waage. Als der Freshman rasch an Kraft und vor allem Muskeltonus zulegt, untersagen ihm die Trainer das Krafttraining. „Das war die Zeit, als ich mit Yoga angefangen habe“, erinnert sich Miller. In den darauffolgenden sieben Jahren packt Miller dennoch fast fünfzehn Kilo an Muskelmasse drauf. „Pat ist so ein Typ, der muss eine Hantel nur anschauen und sein Bizeps wächst“, erklärt Thorsten Leibenath schmunzelnd. Doch Kraft ist nicht alles. Das erfährt Miller erstmals schmerzhaft bei Besiktas Istanbul. Der türkische Traditionsclub mit Euroleague-Historie ist seine erste Station in Europa. Was sich verlockend anhört, ist 2014 nicht unbedingt die beste Adresse – nicht für einen 22-jährigen Rookie. Neben dem Kulturschock – „mein Telefon hat nicht funktioniert, kaum einer sprach Englisch“ – bekommt er den Druck zu spüren, unter dem Coach Ahmet Kandemir steht. In der Saison 2013/14 hatte Besiktas weder im türkischen Pokal noch in der Meisterschaft eine Rolle gespielt. „Der Coach hat mir immer wieder gesagt, dass meine Collegezeit vorbei sei, und dass ich abzuliefern hätte.“ Doch der einzige Frischling ihm Team lässt sich nicht beeindrucken. Er beißt sich durch, überzeugt seinen Coach und führt in der Preseason als 22-Jähriger Regie. Wenige Tage vor Saisonstart dann ein letzter Test gegen Efes. Miller ist erneut Starter. Dann der Schock: Er bricht sich das Handgelenk und wird am 4. Oktober 2014 operiert.

Text: Martin Fünkele
 
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