Gavin Schilling ist niemand, der auf den ersten Blick auffällt. Nicht durch Statistiken, nicht durch sein Auftreten. Dennoch ist der 22-Jährige am College zum Liebling von Fans und Mitspielern geworden – weil er all das tut, was in keinem Boxscore steht. Künftig will der Center aber mehr sein als „nur“ der Vorzeigearbeiter: „In Ulm möchte ich mein ganzes Potential zeigen.“
„Gavin war stets ein Vorbild.“ Tom Izzo
Tom Izzo ist ein Mann von Format. Seit 23 Jahren ist Izzo Head Coach der Basketball-Mannschaft von Michigan State und hat in dieser Zeit fast 1.000 Spiele der „Spartans“ geleitet. Izzo hat schon alles gesehen, nur selten wirft den knurrigen Mitt-Sechziger noch etwas aus der Bahn. Am 20. Februar 2018 kann die Trainerlegende trotzdem nicht an sich halten. Als 37,8 Sekunden vor dem Ende des Spiels gegen Illinois Gavin Schilling als Erster von drei Seniors für immer das Parkett der „MSU“ verlässt, stehen Izzo die Tränen in den Augen. „Alle drei haben die Welt für unser Programm bedeutet“, sagt der Coach später, bemüht, die richtigen Worte zu finden. Über Schilling sagt er dann: „Gavin war stets ein Vorbild. Er hätte über die Jahre viele Gelegenheiten gehabt, sich zu beschweren oder mehr Spielzeit zu fordern – doch ich habe nie etwas von ihm gehört. Er hat immer das gelebt, was dieses Programm ausmacht: zusammen zu gewinnen.“ 11,4 Minuten, 3,3 Punkte, 3,0 Rebounds: Karriere-Werte, die keine Offenbarung sind. Doch Zahlen definieren den Basketballer Gavin Schilling nur unzulänglich. „Gavin ist ein Mannschaftsspieler. Er tut, was auch immer sein Team braucht“, sagt sein Vater Andreas.
Dabei beginnt Gavin Schillings Weg ganz anders: Als Jungstar, Top-Recruit – und als Rasensportler. Als Sohn einer amerikanischen Mutter und eines deutschen Vaters verbringt Gavin seine frühen Jahre im französischen Straßburg. Weder mit Basketball, noch mit Handball – dem Sport seines Vaters, der neun Jahre in der Bundesliga spielte – hat Gavin anfangs zu tun. „Er hat praktisch alles probiert, aber vor allem Fußball gespielt“, erzählt Andreas Schilling. Als die Eltern sich trennen und Mutter Lisa 2003 mit Gavin und seinem Bruder Nigel nach Chicago zieht, wird aus Fußball Football. „Gavin hatte als Kind so viel Energie, Football war der perfekte Sport für ihn“, erzählt Lisa Schilling-Hall.
Das Jahr 2010 verändert dann für Schilling vieles. In den Sommerferien ist er mit Bruder Nigel wie gewohnt für einige Wochen bei Vater Andreas in München, und der sucht händeringend nach einer Beschäftigung für seine Jungs. Also meldet er sie beim Sommer-Camp des bayrischen Sportverbandes an. Als Schilling seine Söhne nach zwei Camp-Wochen wieder abholt, spricht ihn einer der Basketball-Betreuer auf Gavin an. „Er meinte, er würde meine Nummer an Ralph Junge aus Urspring weitergeben“, erinnert sich Schilling. Kurze Zeit später ist der Nachwuchscoach bei Schilling-Senior in der Leitung. Die Familie macht Nägel mit Köpfen und fährt auf dem Nachhauseweg einen Umweg über Schelklingen. Kurze Zeit später hat Gavin ein Stipendium im dortigen Basketball-Internat in der Tasche.
Es ist eine Entscheidung, die Früchte trägt. Nach einem Jahr und 27,0 Punkten in der JBBL kehrt Schilling als deutscher U16-Meister, Juniorennationalspieler und einer der begehrtesten Jungprofis Deutschlands nach Chicago zurück. „Gavin war plötzlich komplett auf Basketball fixiert“, erinnert sich Mama Lisa. Ein Jahr später zieht Schilling allein nach Nevada an die Findlay Prep, um dort eines der renommiertesten High-School-Programme des Landes zu besuchen. Mit gerade einmal 17 Jahren ist der Center 2013 ein Top-Prospect in Amerika. Über 60 interessierte Unis nehmen damals Kontakt auf. Das Rennen macht die „Alma Mater“ eines gewissen Magic Johnson: Michigan State.
„Gavin hat die Power eines Bullen“, umschreibt MSU-Coach Tom Izzo einmal Schillings Physis. Der größte Wow-Moment ereignet sich im Januar 2018: Im Spiel gegen Lokalrivale Michigan fängt der 2,06-Meter-Hüne einen Alley-Oop-Pass mit einer Hand und donnert den Ball über Gegenspieler Isaiah Livers in den Korb. Ein Highlight-Dunk, nach dem auch der sonst so zurückhaltende Schilling aus der Haut fährt.
„Einer der besten Verteidiger in der Geschichte von Michigan State“ Tom Izzo
Sein Körper bremst den Deutsch-Amerikaner aber auch immer wieder aus. In seinem dritten Uni-Jahr – als Schilling nach dem Erreichen des nationalen Endspiels vor dem Durchbruch steht – verpasst er auf Grund eines Sehnenrisses im Zeh die ersten elf Partien. Im Jahr darauf verletzt er sich kurz vor dem ersten Spiel am Knie – Saisonende. Als Schilling nach einer nicht enden wollenden Reha 2017/18 schließlich aufs Feld zurückkehrt, ist da plötzlich Jaren Jackson: ein Center-Juwel, das NBA-Scouts verzückt und viel Spotlight und Spielzeit einnimmt. Routinier Schilling muss zurück ins zweite Glied, spielt in dem so wichtigen Abschlussjahr so wenig wie seit seiner Rookie-Saison nicht mehr. Doch murren hört man ihn deswegen nie.
Mit gerade einmal knapp 20 macht der gebürtige Münchener eine Transformation durch, zu der nicht jeder Teenager bereit wäre: Vom hoch gehandelten Jungstar zum Rollenspieler. Vom 20-Punkte-Scorer in der Schule zum Workhorse am College, das defensiv ackert und vorne nimmt, was abfällt. „Ich weiß nicht, ob es irgendwo in den USA jemanden gibt, der fünf Positionen so verteidigen kann wie Gavin“, adelt MSU-Assistent Mike Garland den Center. Tom Izzo geht noch einen Schritt weiter: „Offensiv setzt er großartige Screens. Und defensiv wird Gavin als einer der besten Big-Men-Verteidiger in die Geschichte von Michigan State eingehen.“
Doch Schilling soll und will mehr sein als nur der Typ, der den Müll raus bringt. Von den NBA-Coaches, vor denen Schilling im Sommer einige Workouts absolviert, bekommt er immer wieder denselben Hinweis: „Dein Wurf muss besser werden!“ Auch deswegen entscheidet er sich für Ulm und gegen drei andere Angebote aus Deutschland: „Ich weiß, dass es schon anderen Big Men hier gelungen ist, zu guten Schützen zu werden“, sagt er. „Ich glaube, ich kann das auch.“ Schilling verdient etwas Geduld – doch man merkt: Der will! „Gavin ist richtig heiß auf Ulm“, hat auch Vater Andreas beobachtet. Wenn es nur ansatzweise so gut läuft, wie beim letzten Mal in Deutschland, muss man sich um den jüngsten Neuzugang keine Sorgen machen.