Wie alle Baller meiner Generation bin ich mit MJ groß geworden. Ich habe seine frühen Spiele dienstagabends nach dem Training gemeinsam mit meiner Mutter auf Eurosport gesehen und weiß noch heute, wo ich das „Flu Game“ geschaut habe (danke an Helge und Rebecca!). Ich bin sicher kein Jordan-Jünger und weiß viele wichtigen Details seiner unfassbaren Karriere nicht. Doch wenn ich einen „Fadeaway-Jumper“ versenkte – in meinem Fall braucht es die Anführungszeichen nicht wegen des Anglizismus, sondern wegen meiner überschaubaren Hops –, rief ich meinem Gegner immer ein laut vernehmliches „MJ“ zu. Selbstverständlich war ich auf das Interview mit diesem Giganten vorbereitet. Und wenn ich eines während meines Journalismus-Studiums an der Deutschen Sporthochschule gelernt habe, dann ist es: „Comment is free, but facts are sacred.“ Du kannst eine Meinung haben, aber die Fakten sind heilig!
In meinem Fall hieß das: Du musst Bescheid wissen, improvisieren kannst du immer noch. Doch was machst du mit einem Gesprächspartner, der betrunken ist? Jordan war nicht so richtig betrunken – aber doch genug, um den Wahnsinn, der ihn in Hamburg erwartete, zu ertragen. Am Abend davor hatte er dieselbe Show für seine Jordan Brand in Paris abgezogen und sich auf dem Flug nach Deutschland mal eben ein paar Gläser Whiskey genehmigt. Warum auch nicht? Aus heutiger Sicht würde ich das wohl genauso machen. Wie sonst hältst du die immer gleichen Fragen aus und die über 2.000 Leute, die sich wegen dir stundenlang die Hacken in den Bauch stehen? Mein Fanboy-Ich war trotzdem nicht auf diesen müden, alten Mann im schlammfarbenen Frottee-Jogginganzug vorbereitet. Ich hatte mich auf ein Interview mit „His Airness“ eingestellt, nicht auf ein Gespräch mit einem angeschickerten Public-Relations-Profi. Wenn ich mir heute das Interview anschaue, das am 24. Oktober 2006 mit der Überschrift „Ich könnte heute noch in der NBA spielen“ in der „Süddeutschen“ erschien, fällt mir vor allem ein Satz auf. „Ich vermisse es noch immer“, hat mir Jordan damals gesagt und damit die Intensität gemeint, die er als Spieler in einem Maße verkörperte wie kein anderer. Ohne seinen inneren Motor, seinen Siegeswillen und das Bedürfnis, es den anderen immer und immer wieder beweisen zu wollen, war Jordan eben auch nur ein ganz normaler 43-Jähriger.
Dass meine Jordan-Geschichte doch noch ein versöhnliches Ende nahm, hatte nichts damit zu tun, dass ich am nächsten Tag in Berlin zunächst den Schauspieler Oliver Korittke auf dem Ku’damm und später Tinker Hatfield beim Jordan Classics in Charlottenburg traf. Korittke, den ich seit seiner Rolle in „Bang Boom Bang“ liebe, ist ein echter Sneaker-Nerd. Mehr als 850 Paar besitzt er. Das hatte er mir bei seinem PR-Auftritt in Niketown erzählt. Den Deutschen Filmpreis ließ er dafür sausen – Jordan war ihm wichtiger. Hatfield ist eine noch größere Nummer als Korittke, weil er viele der vom Schauspieler gesammelten Schuhe entworfen hat. Hatfield, der zwischen 1988 und 2010 alle „Air Jordan“-Modelle designt hat, war zu Gast beim Jordan- Classics-Turnier, das im ausverkauften Horst-Korber-Zentrum stattfand. Doch weder Korittke noch Hatfield konnten mich retten, das musste schon der „Meister“ selbst tun. Und das tat er auch. So wie MJ mit nur einem Satz die Karriere von Muggsy Bogues ruinierte, rettete er mit seinem tiefen Bariton meine Fanseele. Ganz am Ende der schwer verständlichen Tonaufnahme von 2006 hört man, wie der beste Basketballer aller Zeiten sagt: „Thank you, my friend.“ Hätte er mir dabei nicht die Hand gegeben, wäre ich wahrscheinlich umgefallen.
Im eigentlichen Leben ist der Autor dieses Textes (Martin Fünkele) Pressesprecher von ratiopharm ulm und würde sich sehr darüber freuen, wenn er ganz bald wieder seinem normalen Job nachkommen könnte, anstatt Geschichten von „vor dem Krieg“ zu erzählen.