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Danke, mein Freund!

Wie Michael Jordan mir ein fettes Honorar bescherte, meine Jugendträume zerstörte und mich am Ende doch noch glücklich machte.

Es klingt wie eine Geschichte von vor dem Krieg. Wie wenn ein Großvater seinem Enkel von damals erzählt. Von der Zeit, als er noch ein junger Hecht und überhaupt die Dinge viel besser waren. So hört sich das an, wenn ich von meiner Begegnung mit Michael Jordan erzähle. Wenn ich  meinem Sohn diese zwei Tage in Hamburg und Berlin beschreibe – Emil wird im Herbst elf Jahre alt –, muss ich ganz weit ausholen. An der Garage vor unserem Haus hängt ein Korb, und in fast jedem Zimmer lässt sich ein passender Ball dafür finden. Trotzdem kennt Emil Michael Jordan nicht. Dirk ja, Per Günther auch – aber MJ? Nein. Eins noch, bevor ich davon erzähle, wie Michael Jeffrey Jordan mir am 20. Oktober 2006 in Hamburg die
Hand geschüttelt hat – es war eine riesige Enttäuschung.

Crème brûlée bei MJ

Dabei fing es so gut an. Ein paar Monate vor meinem Handschlag mit MJ rief mich Ariane Massmann an. Frau Massmann arbeitete für Nike in Frankfurt, wo wir uns wenige Wochen später trafen. Ob ich Lust hätte, Michael Jordan zu interviewen, hatte sie mich am Telefon gefragt. 15 Minuten Zeit und ein ordentliches Honorar stellte sie mir in Aussicht. Dass ich bei unserem Treffen in einem schicken Restaurant in der Nähe des Frankfurter Bahnhofs das erste Mal in meinem Leben Crème brûlée gegessen habe, macht deutlich, wie wenig ich damals auf Jobs dieser Art vorbereitet war. Im Sommer 2006 war ich freier Journalist, hatte während des Sommermärchens ein paar Fußballgeschichten geschrieben und bereitete mich ansonsten auf die Basketball-WM in Japan vor. Es lief also ganz gut.

Doch 1.000 Euro hatte mir noch nie jemand für einen Job geboten. Das Einzige, was Frau Massmann und Nike von mir erwarteten, war, dass ich meinen Bauchladen bediente. Ein Autor, der möglichst viele Abnehmer für seine Story finden sollte – schließlich würde außer mir nur noch die Bildzeitung einen Interview-Slot mit MJ bekommen. Aus heutiger Sicht kommt mir die Story selbst unwirklich vor. Nicht nur weil ich mittlerweile viele Details vergessen habe, sondern weil Nike heutzutage den erst dritten Auftritt seiner wertvollsten Werbe-Ikone in Deutschland sicher nicht in die Hände eines 30-jährigen Schreiberlings legen würde. Heute würden Influencer meinen Job machen. Sie würden auf einen Schlag ein Millionen-Publikum mit ihrer Insta-Story erreichen und nicht wissen, was sie in 15 Minuten mit „His Airness“ besprechen sollten. Damals war immerhin Patrick Owomoyela da. Der war mal Fußballnationalspieler und hat mir den schönen Satz „Jordan ist nun mal der Popstar des Sports“ in den Block diktiert. Smartphones gab es damals noch nicht, weshalb ich tatsächlich mit einem Block und einem Diktiergerät unterwegs war. Die Mini-Kassette von diesem Abend habe ich verschlampt, und wenn ich sie finden würde, hätte ich kein Abspielgerät mehr dafür. Stattdessen gibt es ein MP3-File mit dem Titel „Martin und der Meister“. Sven Simon, der damals noch für die FIVE arbeitete, hat mir die Tonaufnahme digitalisiert und sich den kreativen Namen ausgedacht.

Viel zu hören ist darauf allerdings nicht. Wie in einem seltsamen Dancefloor-Mix wiederholen sich die Antworten von MJ mehrfach. Trotzdem habe ich mir die Datei in den letzten Jahren immer wieder angehört. Die Antworten, die Michael Jordan auf mein Fragenfeuerwerk parat hatte, waren banal. Wahrscheinlich waren meine Fragen aber auch einfach zu blöd, als dass der damals 43-Jährige an diesem Abend etwas verraten hätte, was er so noch nie gesagt hatte. Er fühle sich mental immer noch in der Lage, in der NBA zu spielen, Dirk würde schon noch einen Titel gewinnen, und seinen persönlichen Kick finde er jetzt im Motorsport und im Golf. So weit, so unspektakulär. Es reichte trotzdem für eine Geschichte auf Spiegel Online und ein Interview für die „Süddeutsche Zeitung“. Mein Job war erledigt, obwohl aus den vereinbarten 15 vor Ort plötzlich nur zehn Minuten Redezeit wurden. Egal, ich hatte schon nach der ersten Minute keine Lust mehr auf das Interview. 

Air Whiskey

Wie alle Baller meiner Generation bin ich mit MJ groß geworden. Ich habe seine frühen Spiele dienstagabends nach dem Training gemeinsam mit meiner Mutter auf Eurosport gesehen und weiß noch heute, wo ich das „Flu Game“ geschaut habe (danke an Helge und Rebecca!). Ich bin sicher kein Jordan-Jünger und weiß viele wichtigen Details seiner unfassbaren Karriere nicht. Doch wenn ich einen „Fadeaway-Jumper“ versenkte – in meinem Fall braucht es die Anführungszeichen nicht wegen des Anglizismus, sondern wegen meiner überschaubaren Hops –, rief ich meinem Gegner immer ein laut vernehmliches „MJ“ zu. Selbstverständlich war ich auf das Interview mit diesem Giganten vorbereitet. Und wenn ich eines während meines Journalismus-Studiums an der Deutschen Sporthochschule gelernt habe, dann ist es: „Comment is free, but facts are sacred.“ Du kannst eine Meinung haben, aber die Fakten sind heilig!

In meinem Fall hieß das: Du musst Bescheid wissen, improvisieren kannst du immer noch. Doch was machst du mit einem Gesprächspartner, der betrunken ist? Jordan war nicht so richtig betrunken – aber doch genug, um den Wahnsinn, der ihn in Hamburg erwartete, zu ertragen. Am Abend davor hatte er dieselbe Show für seine Jordan Brand in Paris abgezogen und sich auf dem Flug nach Deutschland mal eben ein paar Gläser Whiskey genehmigt. Warum auch nicht? Aus heutiger Sicht würde ich das wohl genauso machen. Wie sonst hältst du die immer gleichen Fragen aus und die über 2.000 Leute, die sich wegen dir stundenlang die Hacken in den Bauch stehen? Mein Fanboy-Ich war trotzdem nicht auf diesen müden, alten Mann im schlammfarbenen Frottee-Jogginganzug vorbereitet. Ich hatte mich auf ein Interview mit „His Airness“ eingestellt, nicht auf ein Gespräch mit einem angeschickerten Public-Relations-Profi. Wenn ich mir heute das Interview anschaue, das am 24. Oktober 2006 mit der Überschrift „Ich könnte heute noch in der NBA spielen“ in der „Süddeutschen“ erschien, fällt mir vor allem ein Satz auf. „Ich vermisse es noch immer“, hat mir Jordan damals gesagt und damit die Intensität gemeint, die er als Spieler in einem Maße verkörperte wie kein anderer. Ohne seinen inneren Motor, seinen Siegeswillen und das Bedürfnis, es den anderen immer und immer wieder beweisen zu wollen, war Jordan eben auch nur ein ganz normaler 43-Jähriger.

Dass meine Jordan-Geschichte doch noch ein versöhnliches Ende nahm, hatte nichts damit zu tun, dass ich am nächsten Tag in Berlin zunächst den Schauspieler Oliver Korittke auf dem Ku’damm und später Tinker Hatfield beim Jordan Classics in Charlottenburg traf. Korittke, den ich seit seiner Rolle in „Bang Boom Bang“ liebe, ist ein echter Sneaker-Nerd. Mehr als 850 Paar besitzt er. Das hatte er mir bei seinem PR-Auftritt in Niketown erzählt. Den Deutschen Filmpreis ließ er dafür sausen – Jordan war ihm wichtiger. Hatfield ist eine noch größere Nummer als Korittke, weil er viele der vom Schauspieler gesammelten Schuhe entworfen hat. Hatfield, der zwischen 1988 und 2010 alle „Air Jordan“-Modelle designt hat, war zu Gast beim Jordan- Classics-Turnier, das im ausverkauften Horst-Korber-Zentrum stattfand. Doch weder Korittke noch Hatfield konnten mich retten, das musste schon der „Meister“ selbst tun. Und das tat er auch. So wie MJ mit nur einem Satz die Karriere von Muggsy Bogues ruinierte, rettete er mit seinem tiefen Bariton meine Fanseele. Ganz am Ende der schwer verständlichen Tonaufnahme von 2006 hört man, wie der beste Basketballer aller Zeiten sagt: „Thank you, my friend.“ Hätte er mir dabei nicht die Hand gegeben, wäre ich wahrscheinlich umgefallen.

Im eigentlichen Leben ist der Autor dieses Textes (Martin Fünkele) Pressesprecher von ratiopharm ulm und würde sich sehr darüber freuen, wenn er ganz bald wieder seinem normalen Job nachkommen könnte, anstatt Geschichten von „vor dem Krieg“ zu erzählen. 
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