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Denker & Dunker

„Der Denker“, das bedeutet Ra’Shad James Vorname im Arabischen. Und passend dazu auch sein Motto „You gotta listen before you speak“.

Es ist Anfang Februar, und Ra’Shad James sitzt auf gepackten Koffern – wieder mal. Drei Wochen nach seinem Abschied aus Bonn und zwei Wochen, nachdem er für viele überraschend in Ulm unterschrieben hatte, zieht James erneut um. Immerhin: Diesmal ist das Ziel kein neues Land und auch keine neue Stadt. Aus dem Leonardo Royal Hotel, wo der US-Amerikaner mit Ehefrau und Katze vorübergehend wohnte, geht es in eine feste Bleibe im Stadtteil Böfingen. Von Umzugsstress ist nichts zu spüren, als OrangeZone den Shooting Guard tags darauf zum Gespräch trifft. „Das Umziehen ist für mich kein großes Ding mehr. Das einzige, was ich immer und überall brauche, ist meine Frau – und WLAN“, sagt James, und lacht. Es ist ein kurzes, zurückhaltendes Lachen, und Sekundenbruchteile später sind seine strahlend weißen Zähne wieder hinter einer abwartenden Miene verschwunden. Der 29-Jährige ist kein zwischenmenschlicher Schnellstarter. „Er ist sehr ruhig“, beschreibt Ulms Bogdan Radosavljevic den neuen Teamkollegen, der über sich selbst sagt: „Ich brauche Zeit, um mit Leuten warm zu werden.“
Ra'Shad James hat seinen richtigen Platz gefunden. Foto: Alexander Fischer.
Wer den US-Amerikaner aber einmal aus der Reserve gelockt hat, der lernt einen besonderen Gesprächspartner kennen. Einen, der aufmerksam zuhört, der seine Antworten wohl überlegt und an der Meinung seines Gegenübers interessiert ist. So auch beim Thema Vereinswechsel. Was er denkt, wenn ihn Leute – nach acht Clubs in sechs Profijahren und Stationen zwischen Nevada und Südkorea – für einen Globetrotter halten? „Vielleicht mögen manche das so sehen“, sagt James. „Aber als Sportler sollte man immer dorthin gehen, wo am meisten möglich ist, oder nicht? Ist es falsch, immer die beste Situation für dich zu suchen, wenn deine Karriere nur 12, 13 Jahre währt?“ Es entwickelt sich ein Gespräch über Karriere-Planung, Berufsethos und das System Profi-Basketball, in dem langfristige Verträge immer noch eine Seltenheit sind.  Man merkt: James macht sich über viele Dinge Gedanken. Eine Haltung, die sich auch auf sein Basketball-Spiel überträgt – wenngleich auf dem Court lange ein Talent alle anderen überstrahlte.  
Ra'Shad James beim Spiel ratiopharm ulm vs. Eisbären Bremerhaven Foto: Alexander Fischer

Human Highlight Film vor den Toren von New York

Ra’Shad James wächst in White Plains außerhalb von New York City auf. Während die kommenden Stars des „Big Apple“ Downtown – im Rucker Park, am Brooklyn Bridge Pier oder im berüchtigten „Cage“ – das Spotlight der Medienmetropole auf sich ziehen, entsteht 40 Kilometer nördlich fast unbemerkt ein lokaler Basketball-Mythos. „Zum ersten Mal dunkte Ra’Shad in der 8. Klasse“, erzählt sein Schulfreund Jamell Cromartie in einem Artikel, der später James’ Weg nachzeichnet. Zu der Zeit ist der Junge, den seine Freunde liebevoll-frotzelnd „Shorty“ – den Kleinen – nennen, noch nicht einmal 1,70 Meter groß. Josh Thomson, ein Reporter der regionalen „Journal News“, erinnert sich noch gut daran, wie er den Teenager erstmals in Aktion sieht. James ist damals an der High School und 16 Jahre alt. „Ich weiß noch, wie er unter dem gegnerischen Korb einen verloren gegangenen Ball aufnahm, aus dem Stand hoch stieg und dunkte“, erzählt Thomson. „So etwas sieht man von 2,06-Meter-Typen – aber nicht von jemandem seiner Größe, nicht einmal in der NBA. Es war unwirklich.“ In White Plains wird Ra’Shad bald nur noch „Birdman“ genannt – weil er sich fast mühelos durch die Lüfte bewegt. „Damals war ich eine einzige Highlight-Show“, erinnert sich James. Zeitungsmann Thomson ist sich noch Jahre später sicher: „Er ist der beste Dunker, den ich je auf High-School-Niveau gesehen habe.“     
 
James selbst ist überzeugt: „Ein Dunk kann die Richtung eines ganzen Spiels verändern – wenn er bewusst eingesetzt wird.“ Wann das ist? „Jeder hat diese Szenen im Kopf: Dein Team liegt in Rückstand, plötzlich ein Fastbreak, ein Dunk – und die Halle explodiert. So etwas gibt dem ganzen Team Auftrieb“, meint er. So, wie Anfang Oktober 2018, als der US-Amerikaner mit Bonn in der Champions League auf Teneriffa spielt: 2:07 Minuten vor Ende des zweiten Viertels erhält James ein Zuspiel in der rechten Ecke, zieht über links zum Korb und drischt die Kugel so brachial durch den Ring, dass dem Kommentator nur ein fassungsloses „Are you serious?“ entfährt. Es ist der Anfang eines Bonner 9:2-Laufs vor der Pause. James sagt: „Ich versuche, mir solche Dunks für die richtigen Momente aufzubewahren.“ Auch deswegen dunkt er im Training inzwischen nicht mehr. „Und um meine Beine ein wenig zu schonen“, fügt er schmunzelnd an. 
James im vollen Einsatz beim Spiel gegen Lyon. Foto: Marcel Merli

Mit Frau und Katze um die halbe Welt

Trotz zahlloser Top-10-Plays und einem Vermächtnis als Highflyer: Ra’Shad James’ Weg läuft lange alles andere als zielsicher auf eine große Basketball-Karriere hinaus. „Als Kind war ich für alle nur der Dunker“, sagt er. „Es lag an mir, diese Wahrnehmung zu ändern.“ Seine Uni-Zeit verbringt er erst am St. Thomas Aquinas, dann am Iona College – beides zuhause in New York, beides mit überschaubarem Erfolg. Erst ein Wechsel nach Northwood, einen kleinen Küstenort in Florida, gibt der College-Laufbahn des 1,88-Meter-Manns die entscheidende Wendung. Unter Trainer-Legende Rollie Massimino steigert er seinen Punkte-Schnitt von 3,1 auf 23,0 und beendet seine Studienzeit mit dem Gewinn der Sun Conference. „Northwood veränderte alles für mich. Dorthin zu gehen, war eine der besten Entscheidungen meines Lebens“, sagt James heute.

Text: Joshua Wiedmann

Wie es in Ra'Shads Karriere weitergeht – und noch vieles mehr (z.B. das Interview mit Boggy oder die Titelstory mit Patrick Miller) lest ihr ab sofort im neuen OrangeZonge.Magazin #3 - designed by HALMA.
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